Kinderpavillon und Stadtpark

Pražská 291, 411 55 Terezín, Tschechische Republik

Adresse vor Zwangsaussiedlung

Kramářgasse, Kramářova

Adresse im Ghetto

Q 7, Blöcke F VI und F V, 4. Bezirk

Adresse „Verschönerung“

Stadtpark


Spuren und Zeugnisse

Im Rahmen der ersten „Stadtverschönerung“, die im Sommer 1944 ihren Höhepunkt erreichte, wurde der Park im nordöstlichen Stadtgebiet einer Umgestaltung unterworfen. Wie viele andere Einrichtungen und Anlagen wurde auch dieser Ort für die Inspektion des Internationalen Roten Kreuzes hergerichtet, um die wahren Verhältnisse im Ghetto zu verschleiern.

Im Ghetto galt dieses Areal für Häftlinge bis zu diesem Zeitpunkt als eine verbotene Zone. Lediglich die durch den Park führende Straße zwischen Q 6 und Q 7 war für sie zugänglich.1 Die Benutzung des Parks blieb trotz zahlreicher Lockerungen im Lageralltag auch nach dem Frühjahr 1944 nur wenigen Häftlingen vorbehalten.2

H.G. Adler kommentierte später das Vorhaben mit teils sarkastischem Unterton: „ … neben E VI und E VII errichtete man einen Spielplatz für Kinder ein und baute aus Holz und Glas, damals in Deutschland eine unerschwingliche Kostbarkeit, einen Pavillon als Kleinkinderhort. Dieser Kinderhort wurde außen mit Tierbildern verziert und mit einer Küche, mit Brausen, Liegebettchen und anderen funkelnagelneuen Geräten ausgestattet. Hinter dem Pavillon gab es den lustigen Vergnügungspark mit Sandhaufen, Planschbecken, Karussell und anderen schönen Dingen!“ 3

Die erwähnten Tierbilder  stammen von dem niederländischen Maler und Zeichner Jo Spier.4 Philipp Manes, er hat eine sehr detailierte Beschreibung der gesamten Anlage hinterlassen, erwähnt in seinen Aufzeichnungen den berühmten Künstler als Autor.5 Dazu passt, dass Spier im Rahmen der „Verschönerungsaktion“ in einer Kinderbaracke ebenfalls Wandbilder schuf.6

Nicht wissend, welchen Zweck das gesamte Vorhaben tatsächlich erfüllen sollte, schwärmte Manes über das „neue Wunder in dieser merkwürdigen Stadt“: „Die ganze Anlage […] könnte als Musterbau auf einer Hygiene-Ausstellung stehen. Den Erbauern darf man aufrichtig zu dieser Leistung gratulieren. Sie zeigt großes Können und […] Liebe zur gestellten Aufgabe, die so glänzend gelöst wurde.“ In fast überschwenglicher Begeisterung heißt es weiter: „Hier finden sie alles, was der Erholung dienlich ist und der Gesundheit förderlich ist. Man darf es abschließend sagen – hier ist ein Kinderparadies geschaffen, für das wir alle sehr dankbar sein müssen.“ 7

Bis auf die Fundamente und Reste einer Plansche ist von dem Bau nichts erhalten geblieben. Doch der Standort ist leicht zu erkennen – die Kastanien, die damals den Bau einrahmten, dominieren den Ort noch heute. Am Rande der Stadt gelegen und kaum beachtet, ist die Bedeutung dieser noch vorhandenen Reste gänzlich in Vergessenheit geraten.

1 H.G. Adler, Theresienstadt 1941-1945, S. 257, Aktenvermerk L 46
2 Ebenda, S. 172
3 Ebenda, S. 166
4 Jo Spier ist ein Künstlername, der bürgerliche Name lautet Joseph Eduard Adolf Spier (1900-1978) . Er war in Theresienstadt selbst Häftling, genoss aber besondere Privilegien und stand unter dem Schutz der SS. Von ihm sind zahlreiche Bilder und Zeichnungen, die im Ghetto Theresienstadt entstanden, überliefert. Dazu zählen Auftragswerke der SS sowie zahlreiche  Werke, die das Elend im Ghetto dokumentieren.

5 Philipp Manes, Als ob´s ein Leben wär. Tatsachenbericht Theresienstadt 1942-1944, S. 290

6 Sie zeigen Märchenmotive (Hänsel und Gretel und Frau Holle) sowie diverse Tierbilder wie zum Beispiel Giraffen, Fledermäuse oder Hasen. Insgesamt 19 Fotos, darunter auch Screenshots vom Propagandafilm „Theresienstadt. Ein Dokumentarfilm aus dem jüdischen Siedlungsgebiet“, befinden sich im Bestand des Jüdischen Historischen Museums in Amsterdam unter Inv.-Nr. F000204, http://www.jhm.nl/Collectie/Zoeken/Detail?id=abc-media_jhm-foto_40000214&q=jo+spier&qf[]=-tib_collectionPart_facet_facet%3aNIW-fotoarchief&q
7 Philipp Manes, Als ob´s ein Leben wär, S. 290 f

Heutige adresse

Kinderhort, Plansche

Kinderhort, Plansche Pražská 291, 411 55 Terezín, Tschechische Republik

Pražská 291, 411 55 Terezín, Tschechische Republik

ZITIERHINWEIS

Fischer, Uta, Theresienstadt 1941-1945 – Materielle Zeugnisse und Spuren. Kinderpavillon und Stadtpark, Berlin 31.3.2016, (Zugriffsdatum).

URL: https://ghettospuren.de/project/kinderpavillon-und-stadtpark/

BAULICHE ZEUGNISSE

Der Umgestaltung war eine Besichtigung des Ghettos durch SS-Lagerkommandant Karl Rahm vorausgegangen, bei der ein 50-Punkte-Katalog mit Anweisungen zur Verschönerung bei der jüdischen Selbstverwaltung „in Auftrag“ gegeben wurde.1 Punkt sechs geht ausführlich auf den Großen Stadtpark ein: „Der rückwärtige Teil des Großen Parkes ist unter Einbeziehung des Dreiecks zwischen Umgehungsstraße und Kavalierkaserne zu einem Spiel- und Sonnenplatz für Kinder auszugestalten, welcher in der Höhe der Kante des Hauses Berggasse 19 gegen Berggasse 21 durch eine lebende Hecke abzuschließen ist. Auf dem baumfreien Platz dieses Parkstückes in der Richtung Rathausgasse ist parallel zu dem Flügel des Krankenhauses eine Baracke als Tagesaufenthaltsraum für Kinder aufzustellen, welche jedoch architektonisch gefällig gestaltet werden und keinen behelfsmäßigen Eindruck machen soll. In dem als Spielplatz vorgesehenen Parkteil sind […] Baumscheiben und Rasenstreifen vorzusehen, während auf dem rückwärtigen Dreieck eine Liegewiese anzulegen ist. Das Parkstück zwischen Parkstraße und der Hecke des Kinderspielplatzes ist für Mütter mit Kleinkindern vorzusehen, wobei gleichfalls ein Abschluss gegen die Parkstraße erfolgen soll, um den ruhigen Aufenthalt in diesem, mit Bänken auszustattenden Parkteil zu gewährleisten. Projekt vom Bauwesen vorzulegen.

Die Projektierung der Baracke war innerhalb weniger Tage durchzuführen, denn die Arbeiten zur Errichtung sollten planmäßig am 15. April, nur eine Woche nach der Bekanntgabe durch den Judenältesten Paul Eppstein, beginnen. Bereits am 30. April sollte die gesamte Maßnahme einschließlich der Inneneinrichtung planmäßig beendet sein. Vom Aushub der Fundamente bis zur Übergabe der betriebsbereiten Anlage waren demzufolge 16 Tage vorgesehen.2  

Der Häftling Philipp Manes hat in seinen Aufzeichnungen den Bau beschrieben. Demnach war im linken Gebäudeteil ein Speiseraum für 50 Kinder, eingerichtet mit niedrigen Tischen und Hockern in bunten Farben. Ein Waschraum, ebenfalls kindgerecht ausgestattet, war dahinter. Im rechten Flügel befand sich ein großes Spielzimmer, in dem Schaukelpferde, Spieltische und bunte Hocker standen. Rückwärtig war noch ein Wickelraum eingerichtet, den Frauen auch zum Stillen nutzen.3  

Die Grünflächenarbeiten fanden zwischen dem 25. und 30. April 1944 statt. Sie wurden ebenso akribisch geplant wie alles andere: Das Ablaufdiagramm listet unter anderem auf: „Eine lebende Hecke gegen die Parkstraße, gärtnerische Ausgestaltung des Parks, Instandsetzung von Wegen sowie die Lieferung von Ruhebänken“.4 Alles wurde ausgeführt, wie von Rahm gewünscht. Auch die von H.G. Adler erwähnten Spielgeräte und Ruhebänke wurden von der Technischen Abteilung entworfen und hergestellt.

1 In einem offiziellen Schreiben Paul Eppsteins wurden die mündlich erteilten Weisungen Karl Rahms aufgelistet. Die Aufträge wurden dann den einzelnen Abteilungen der jüdischen Selbstverwaltung bekannt gegeben. Jüdisches Museum Prag, Bestand Terezín/Theresienstadt, Inv. Nr. 50a
2 Diagramm „Stadtverschönerungsarbeiten lt. Aktenvermerk vom 8.4.1944“, SOkA Litoměřice, Fond Ghetto Theresienstadt-Selbstverwaltung, Technische Abteilung, Referat Bauwesen, Inv. Nr. 184
3 Philipp Manes, Als ob´s ein Leben wär. Tatsachenbericht Theresienstadt 1942-1944, S. 290
4 Tabelle „Stadtverschönerungsarbeiten lt. Aktenvermerk vom 8.4.1944“, SOkA Litoměřice, Fond Ghetto Theresienstadt-Selbstverwaltung, Technische Abteilung, Referat Bauwesen, Inv. Nr. 184

Am 3. Juni 1944, fünf Wochen nach dem Karl Rahm seine Anweisungen zur Umgestaltung gab, wird in einer Mitteilung der Jüdischen Selbstverwaltung bekannt gegeben, „dass der Stadtpark zwischen Parkstraße und Kinderspielpavillon ausschließlich für die Nutzung durch Kleinkinder bestimmt ist“.1 Zumindest für ein paar Wochen sollte die Illusion einer kinderfreundlichen jüdischen Siedlung erhalten bleiben.

Am 23. Juni 1944 fand schließlich der offizielle Besuch einer Kommission des Internationalen Roten Kreuzes (IKRK) statt: Der Kinderpavillon war die letzte Station des minutiös durchgeplanten Besichtigungsprogramms, der hier gegen 19 Uhr endete.2 Dass die Kinder in den Plänen der SS nur als Statisten für ein groß angelegte Täuschungsmanöver dienten, verdeutlicht auch die Erinnerung eines Überlebenden: „Meine Stieftochter war als besonders hübsches kleines Kind auch im Kinderpavillon aufgestellt. Rahm schenkte jedem Kind eine Puppe – auf zwei Stunden.3 Helga Weissová, damals 14 Jahre alt, notierte in ihrem Tagebuch ihre Beobachtungen und die Irrititation: „In dem Park vor dem Kinderheim haben sie einen luxuriösen Pavillon errichtet, in dem Kinderbetten mit mit hellblauen Steppdecken stehen. In einem Zimmer gibt es Spielsachen, ein hölzernes Schaukelpferd und so weiter. Dann gibt es dort einen Teich, ein Ringespiel und Schaukeln. Niemand von uns kann sich erklären, wozu sie das alles machen. Macht Ihnen die Kommission solche Sorgen? Vielleicht wissen wir gar nicht, wie günstig die Lage eigentlich ist.“4

Ein weiterer Höhepunkt der von der SS inszenierten Scheinwelt waren schließlich die Dreharbeiten zum Film „Theresienstadt – ein Dokumentarfilm aus dem jüdischen Siedlungsgebiet“, auch bekannt unter dem falschen Titel: „Der Führer schenkt den Juden eine Stadt“. Laut der Überlebenden Käthe Starke war dies ein Spottname, der sich bei Häftlingen während der Dreharbeiten einbürgerte. Hier kam dem Spielplatz mit seinen Spielanlagen und dem Kinderpavillon eine besondere Rolle zu. Die Dreharbeiten begannen am 26. August 1944, sieben Wochen nach dem Besuch des IKRK, und endeten am 11. September 1944.5 Kinder und Betreuer mussten ein allerletztes Mal als Darsteller mitwirken. Filmszenen zeigen fröhliche Kinder an Spielgeräten, im Sandkasten, an der Plansche oder ruhend in Betten. Nach Abschluss der Dreharbeiten wurden fast alle Mitwirkenden des Films nach Auschwitz-Birkenau deportiert, auch die zahlreichen Kinder, die zuvor so vergnügt vor der Kamera posiert hatten.

1 Abschrift Mitteilungen der jüdischen Selbstverwaltung Nr.17 vom 3. Juni 1944, Jüdisches Museum Prag, Bestand Terezín/Theresienstadt,
Inv. Nr. 145
2 Siehe Ablaufplanung zum Besichtigungsprogramm Besuch des Komitees des Internationalen Roten Kreuzes, Ablaufplanung zum Besichtigungsprogramm,Jüdisches Museum Prag, Bestand Terezín/Theresienstadt, Inv. Nr. 188
3 H.G. Adler, Theresienstadt 1941-1945, S. 746
4 Irena Lauscherová: die Kinder von Theresienstadt, S. 120 f
5 Fertiggestellt wurde der Film jedoch erst am 28. März 1945.

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