Ghetto Theresienstadt 1941 – 1945

MATERIELLE ZEUGNISSE UND SPUREN

Was bedeuten die Spuren?

1941 verschwand eine komplette Stadt mit einem Federstrich von der Landkarte. Die tschechische Kommune Terezín wich auf Befehl der deutschen Besatzungsmacht einem Lager für jüdische Häftlinge: dem Ghetto Theresienstadt. Alle Bewohner wurden zwangsweise umgesiedelt, Gebäude und Flächen dienten bis 1945 als Sammel- und später als Durchgangslager für mehr als 141.000 Menschen aus der besetzten Tschechoslowakei, dem Deutschen Reich und anderen besetzten Gebieten Europas.

Mehr als 34.000 der hier Eingesperrten starben an Hunger und Krankheiten. Weitere 88.000 wurden von hier deportiert und in Auschwitz und anderen Vernichtungslagern ermordet. In Theresienstadt wusste das keiner; die vergleichsweise humanen Zustände und die begrenzte Autonomie der „jüdischen Selbstverwaltung“ dort wiegten die Häftlinge in Sicherheit. Auch das war Kalkül der Nazis, denn als sogenanntes Vorzeigelager spielte Theresienstadt eine bedeutende Rolle in der nationalsozialistischen Propaganda. Tatsächlich hat Theresienstadt innerhalb der NS-Lager einen einzigartigen Status – auch deswegen, weil hier eine ganze Stadt zum Kerker wurde.

Obgleich die tschechische Bevölkerung nach dem Kriegsende und der Auflösung des Lagers zurückkehrte und die Stadt seitdem kontinuierlich wieder bewohnt ist, sind unverkennbare Spuren der Ghettozeit bis heute erhalten geblieben. Bereits der Umstand, dass die gesamte Anlage in ihrem baulichen Zustand nahezu unverändert geblieben ist, macht sie zu einem einmaligen Zeugnis der Shoa.

Was sind Zeugnisse und Spuren?

Übrig geblieben sind vielerlei bauliche Veränderungen, die in der Zeit des Ghettos entstanden und die Not und Zwangslage der Häftlinge illustrieren – dazu gehören Zwischenwände, Isolierungen und elektrische Leitungen auf Dachböden, Nummerierungen und vieles mehr. Selbst Aufschriften mit Verbotshinweisen aus der damaligen Lagerordnung existieren noch. Diese Modifikationen entstanden im Regelfall im Auftrag der jüdischen Selbstverwaltung oder der SS.

Häufig haben Häftlinge aber auch eigene Nutzungsspuren hinterlassen, zum Beispiel Haken oder Einbauschränke. Zu den interessantesten gehören jedoch ohne Zweifel kunstvolle Wandmalereien auf Dachböden und unzählige Graffiti an Wänden oder Festungsmauern. Zumeist handelt es sich dabei um verborgene Schätze, die erst einmal als solche erkannt und gewürdigt werden müssen.

Die Internetdokumentation Ghettospuren.de strebt eine möglichst vollständige Darstellung der erhaltenen Spuren des Ghettos Theresienstadt an. Damit sind vor allem diejenigen baulichen Zeugnisse gemeint, die sich heute in der Topographie der Stadt Terezín befinden.

Warum ist Eile geboten?

Seit 70 Jahren warten diese Relikte der Vergangenheit auf ihre Entdeckung. Bis auf wenige Ausnahmen hat man sie weder dokumentiert noch gesichert. Die Hochwasserkatastrophe im Jahr 2002 bedeutete nicht nur einen unvorstellbaren Schaden an Bausubstanz, sondern auch den unwiederbringlichen Verlust von unzähligen Spuren aus der Zeit von 1941 bis 1945. Dachsanierungen und Umnutzungen befördern zudem den nicht aufzuhaltenden Prozess des Verschwindens.

Für zahlreiche Graffiti in der Poterne 3, einem ehemaligen Festungstor, stellen Verwitterung und Vandalismus eine wachsende Bedrohung dar. Angesichts der Tatsache, dass sich die Zerstörung einiger einzigartiger Zeugnisse in nur wenigen Jahren vollzog – die Graffiti von Häftlingen wurden erst 2005 als solche entdeckt –, war Zeitdruck die treibende Kraft bei der Entwicklung des Projektes durch die Stadtplanerin und Autorin Uta Fischer.

Was soll erreicht werden?

Zielsetzung des Projektes ist, die noch vorhandenen materiellen Zeugnisse und Spuren in der heutigen Topographie der Stadt Terezín zu identifizieren, zu dokumentieren und die Ergebnisse der Öffentlichkeit zugänglich zu machen.

Die Initiatoren möchten auf die Funde aufmerksam machen, Terezíns Positionierung als internationalen Gedenkort und dauerhafte Dokumentationsstätte des Holocaust unterstützen und die deutsch-tschechische Zusammenarbeit intensivieren.

Projektzeitraum
Juni 2014 bis Mai 2015
Projektleitung Gesamtvorhaben
Uta Fischer, Büro WILDFISH
Träger
Verein der Freunde und Förderer von Theresienstadt e. V.
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