Er ist der unangefochtene Star: Ein Typ mit Mütze, im Profil eingeritzt in den weichen Sandstein der Poterne. Das ist eines der Ausfalltore von Theresienstadt. Poternen sind Tore, die ausschließlich für den Krieg vorgesehen waren: Um im Fall einer Belagerung einen Gegenangriff aus der Festung heraus starten zu können.
Zu Zeiten des Ghettos wurde dieses Ausfalltor bewacht, damit niemand durch den Graben und die dahinter liegenden Minengänge aus dem Lager fliehen konnte. Die Bewacher waren zwangsverpflichtete jüdische Häftlinge, die so genannte Ghettowache. Während ihres langweiligen Dienstes in der Abgeschiedenheit des Festungsgrabens haben einige von ihnen offenbar das Ritzen angefangen: Mit Nägeln oder Drahtenden ritzten sie in den Sandstein. Manchmal den Namen, manchmal die Transportnummer, mitunter auch Ornamente oder Symbole. Als Lebenszeichen, als Beweis für die eigene Existenz.
Und dann ist da noch dieser Mützenträger. Gleich fünf Mal ist er abgebildet, nebeneinander, zweimal auffällig ähnlich. Er hat auch einen Namen: „Il Capitano“ steht neben einem Porträt, das den Mann mit spitzer Nase zeigt.
Der Capitano gibt gleich noch weitere Rätsel auf: Sein Titel ist auch aus dem Grund höchst seltsam, da kaum ein Häftling Italienisch gesprochen haben dürfte (es waren im Wesentlichen tschechische, deutsche und österreichische Juden in Theresienstadt und erst im April 1945 kamen Italiener mit den Rücktransporten an).
Aber gab es unter ihnen einen, der sich mit seinen italienischen Sprachkenntnissen brüstete? Fand hier in seiner Abwesenheit ein improvisierter Karikaturen-Wettbewerb statt?
Zumindest eine Gewissheit gibt es: Die Ritzung entstand zu Zeiten des Ghettos; darauf deutet auch die Mütze des Porträtierten hin: Auf einem der Porträts hat sie zwei Längsstreifen – das waren die üblichen Rangabzeichen von Hauptleuten. Und „Capitano“ ist die Übersetzung des deutschen „Hauptmann“…
[Bearbeitet am 22.5.2015 von Uta Fischer]
Text: Roland Wildberg | Fotos: ©WILDFISCH, Roland Wildberg & Uta Fischer